Tödlicher Speed - Leseprobe

Kapitel 1

Noch zwölf Stunden bis zum Urlaubsbeginn. Axel Schröder begutachtete lächelnd die Ansammlung von Gegenständen auf seinem Garagenboden. Der erste Haufen versammelte alles Nötige für seine große Motorradtour nach Südfrankreich am Sonntag. Im zweiten Haufen stapelte sich seine Ausrüstung für das Renntraining auf der Rennstrecke von Assen am Samstag. Daneben lagen ein iPod und seine Dienstwaffe für den Freitag. Kommissar Schröder hoffte auf einen ruhigen letzten Arbeitstag bei der Kölner Mordkommission.
Einen Augenblick später klingelte sein Handy. Schröder starrte auf das Display und fluchte. Der ruhige Arbeitstag begann mit einem Anruf von Hauptkommissar Behrendt. Und endete wahrscheinlich auch damit.
„Hallo Schröder, ich hoffe, ich darf Sie vor Ihrem Urlaub noch mit dienstlichen Angelegenheiten behelligen …“
Schröder konnte das Vergnügen in Behrendts Stimme deutlich heraushören. Der Hauptkommissar war ein guter Vorgesetzter, aber ein Kollege kurz vor seinem Urlaub löste auch bei Behrendt einen Beißreflex aus.
„Ich rufe Sie nicht an, weil da ein Mann auf dem Wallrafplatz sitzt, mit einer Kugel in der Brust und ziemlich tot. So etwas kennen Sie ja. Ich rufe Sie an, weil er einen Motorradhelm auf dem Kopf trägt. Das sollte Sie als Motorradfahrer interessieren. Vielleicht haben Sie Lust, sich den Mann einmal anzuschauen?“
Schröder ließ den Blick von seiner Lederkombi auf dem Boden zu seiner Kawasaki in der Ecke schweifen. Hatte er Lust auf Ermittlungsarbeit? Auf rhetorische Fragen sollte man keine ernsthaften Antworten geben.
„Hauptkommissar, was ist denn das für eine Frage? Ein neuer Fall am letzten Arbeitstag vor meinem Urlaub! Soll ich Ihnen ehrlich sagen, was ich davon halte?“
Aus dem Handy kam nur ein Knistern. Axel stellte sich Behrendts verblüfftes Gesicht vor. Er ließ ihn einen Atemzug lang zappeln, dann ergab er sich seinem Schicksal.
„Diesen Fall schaue ich mir natürlich sehr gerne noch an. Chef, ich schwinge mich in mein Wohnmobil und bin in 20 Minuten vor Ort!“
Axel schnallte sich seine Walther um und steckte den iPod in die Jackentasche. Seine Ausrüstung für die nächsten Tage war beinahe vollständig versammelt. Den Ersatzkanister, Werkzeug und anderen Kleinkram würde er heute Abend zusammensuchen müssen. Schröder ging durch die Verbindungstür von der Garage zurück in das Haus. Seit seine Frau Renate im letzten Jahr ausgezogen war, hatte die Inneneinrichtung ein modernes, sachliches Styling erhalten. Das bedeutete, dass die meisten Zimmer halb leer und nur sehr dezent möbliert waren. Die Matratze lag immer noch im leeren Wohnzimmer, wohin er sie damals gezerrt hatte. Axel blickte durch das große Verandafenster in den Garten. Der Rasen war nach bald einem Jahr Wildwuchs in einen hüfthohen Naturzustand übergegangen und undurchdringlich. Auf der Liste der Dinge, um die Axel sich dringend kümmern musste, stand das Wort „Gärtner“ ziemlich weit oben – allerdings noch hinter solch Furcht einflößenden Worten wie „Steuererklärung“, „Fitness-Training“ und „Partnervermittlung“. Axel sah sich selbst als Reflexion in der Scheibe des Verandafensters. Mittelalt, mittelgroß, zerzauste Haare und einigermaßen ansehnlich. Er grinste sich selber an. Die Sonne des Spätsommertages knallte auf die Steinplatten der Veranda. Ganz bestimmt würde es morgen in Assen bei seinem allerersten Mal auf einer richtigen Rennstrecke trocken sein. Axel spürte, wie sein Herz bei diesem Gedanken kurz beschleunigte. Aber dann löste er den Blick von der Veranda und verließ das Haus. Er hatte eine Verabredung mit einem toten Motorradfahrer.

Kapitel 2

Axel versuchte gar nicht erst, in der Nähe des Wallrafplatz einen Parkplatz für sein Wohnmobil zu finden. Mit pulsierender Warnleuchte kämpfte er sich bis zur Absperrung, die seine Kollegen in gehörigem Abstand um eine der Bänke auf dem Platz gezogen hatten. Die Bank selbst war hinter improvisierten Sichtblenden aus grauen Sanitäterdecken versteckt. Ein Polizeibeamter kam mit ausgestrecktem Zeigefinger auf ihn zu, sobald sich Axel aus seinem Wohnmobil fallen ließ. Axel kannte den Kollegen und wusste, dass er türkischstämmig war. Er kramte in seinem Kopf nach der richtigen türkischen Begrüßung, aber weil er seit Wochen mit dem Sprachkurs „Türkisch für Anfänger“ auf seinem iPod nicht vorankam, war er zu langsam für den Kollegen.
„So jeht dat nit!“, fuhr der ihn an, erkannte dann den Kommissar und ließ den Zeigefinger sinken.
„Da haben Sie ja ein ungewöhnliches Dienstfahrzeug, Herr Kommissar. Verdeckte Ermittlungen im Wohnmobil-Milieu oder was? Da vorne sitzt jedenfalls Ihr Kunde.“
Axel hatte in seinem Gedächtnis ein Wort gefunden, das ihm beim Auswendiglernen besonders gut gefallen hatte. Leider erinnerte er sich nicht mehr an seine Bedeutung.
„Tesadüf?“, sagte er deshalb vorsichtshalber mit einer fragenden Betonung. Der Kollege sah ihn ernst an.
„Ob das ein Zufall ist, müssen Sie herausfinden, Herr Kommissar. Ein Loch in der Brust entsteht allerdings selten zufällig, soweit ich weiß.“
Axel trat hinter das Viereck aus kopfhohen Sichtblenden. Auf engem Raum standen Kollegen von der Spurensicherung bei dem Kriminalarzt Doktor Blessing und beschäftigten sich mit einem Mann, der aufrecht zwischen ihnen auf der Bank saß. Er trug eine dunkle Lederjacke, eine schwarze Hose und Blundstone-Schuhe. Man hätte ihn für einen WDR-Mitarbeiter aus dem nahegelegenem Funkhaus halten können, der auf dem Wallrafplatz eine kurze Pause machte. Allerdings störte in diesem Bild ein schwarzer Integralhelm mit getöntem Visier. Und ein feines Loch auf der rechten Brustseite, um das getrocknetes Blut glänzte.
„Morgen, die Kollegen!“, rief Axel in die Runde. Brummtöne in unterschiedlicher Tonhöhe waren die Antwort. Alle wollten den Toten so schnell wie möglich von seinem Platz im Herzen der Stadt entfernen und ließen sich deshalb nicht ablenken. Nur ein Mann mit dichten grauen Haaren drehte sich um und machte eine einladende Handbewegung.
„Bitte übernehmen Sie, Herr Kommissar“, sagte er mit einem gezwungenen Lächeln.
„Ich kann nichts dafür, Willi“, sagte Axel. Kollege Dünne war seine Urlaubsvertretung und würde ab morgen den Fall an der Backe haben. Behrendts Entscheidung, die Ermittlungen heute Axel zu überlassen, schien ihm nicht zu gefallen.
„Erzähl mir kurz, was du weißt, ich kümmere mich heute um den Fall und ab morgen gehört er ganz alleine dir. Einverstanden?“
Dünne nickte und trat näher an Axel heran.
„Die Meldung kam vor knapp 35 Minuten. Ein Mann von der Stadtreinigung wollte den Plastikbeutel im Mülleimer neben dem Toten wechseln und hat das Blut gesehen. Wie lange der Tote schon hier ist, wissen wir nicht. So ein Motorradhelm ist zwar auffällig, aber der sitzt da ja ganz friedlich und aufrecht.

 

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