Der Motorradpfarrer... - Leseprobe

Max erreichte die Schwimmhalle um zehn nach sieben. Als Motorradfahrer hatte man den unschlagbaren Vorteil, direkt vor dem Eingang parken zu können. Die Frauen waren wahrscheinlich schon drinnen. Er war der einzige Gast an der Kasse und kaufte eine Drei-Stunden-Karte.
Nervös passierte Max schließlich das Drehkreuz und machte sich auf die Suche nach den Umkleidekabinen. Kein leichtes Unterfangen. Es gab Räume für das Freibad, welches natürlich im Oktober geschlossen war, einen Umkleidebereich für die Schwimmhalle und noch einen separat für die Sauna. Nach einem kurzen Kampf mit dem Kassenchip, dem Spindschlüssel und dem Schrankschloss entledigte sich Max seiner Kleidung und band sich das mitgebrachte Handtuch um die Hüfte. Das heißt, er versuchte es. Natürlich hatte er in der Eile kein Bade-, sondern ein normales Handtuch eingepackt. Max hatte einige Mühe, das kurze Teil oberhalb seiner Beckenknochen züchtig zu befestigen. Schließlich brachte er es doch zum Halten und hoffte, dass das Tuch auch da blieb. Wie Frauen sich nur in Miniröcken wohlfühlen konnten.
Wie weiter? Zuerst duschen. Badelatschen wären auch eine gute Idee gewesen. Nachdem Max seinen gesamten Körper mit dem mitgebrachten Haarwaschmittel eingeseift hatte und auch das Handtuch wieder seine Lenden bedeckte, war er bereit für den eigentlichen Saunagang.
Die Kabine war leer. Enttäuscht setzte sich Max auf eine der unteren Holzbänke, wobei er wieder Schwierigkeiten hatte, das Handtuch an Ort und Stelle zu behalten. Er atmete tief durch und ließ die Hitze auf sich wirken. Langsam normalisierte sich sein Pulsschlag. Max konnte fast sehen, wie sich seine Poren öffneten und winzig kleine Schweißtropfen hervorkrochen. Die heiße Luft legte sich schwer von innen und von außen auf seine Lungen. Max schloss die Augen, entspannte.
Zirka zehn Minuten später wurde er von lautem Reden und Lachen aufgeweckt. Er blinzelte durch einen dünnen Schweißfilm, der sich über seine Lider gelegt hatte und erkannte direkt gegenüber Marie Schulze. Sie hatte ein großes orangefarbenes Badetuch um ihren Körper geschlungen, das mit einer geometrisch scharfen Linie über ihren vollen Brüsten endete und in der Gegenrichtung noch ihre Knie bedeckte.
»Und, so schlimm ist es doch gar nicht«, flüsterte sie zu einer zweiten Frau gebeugt, die etwas älter zu sein schien. Diese war sogar in zwei Handtücher gehüllt, so dass nur Kopf und Füße herausschauten. Bevor Max seine Beobachtungen fortsetzen konnte, ging erneut die Kabinentür auf und eine Badangestellte kam herein. Sie trug einen kleinen Plastikeimer, dessen Inhalt sie über einen Steinhaufen in der Mitte der Sauna goss. Max hatte sich schon gefragt, wozu dieses Gebilde dienen mochte. Nun war es klar. Sofort als die Steine mit der Flüssigkeit in Berührung kamen, füllte sich der Raum zischend mit einem undurchsichtigen, heißen, aber wohlriechenden Dampf, der alle Anwesenden verhüllte. Mit einem Schlag fiel das Atmen noch schwerer. Max wurde schmerzhaft an die vielen Inhalationsbäder erinnert, zu denen ihn seine Mutter bei dem nur kleinsten Anzeichen einer Erkältung gezwungen hatte. Er versuchte, das Aroma einzuordnen. Er kannte diesen Geruch.
»Das ist ja Honig.«
Marie Schulze hatte recht. Honig. Nach zehn Minuten hatte sich der Dunst soweit gelegt, dass die drei Saunierer sich wie beim Beamen wieder in der Kammer materialisierten.
Max Magen murrte. Er hatte lange nichts gegessen. Trotzdem suchte er konzentriert den sichtbaren Körper von Marie Schulze nach Tätowierungen ab. Aber wenn er die Geschichte von Müller richtig interpretierte und den Ort der Buchstaben L und D auf Lisas Körper in Betracht zog, dann würde Max in der jetzigen Konstellation eine eventuelle Signatur nicht zu Gesicht bekommen. Schade.
Sein Magen knurrte jetzt noch lauter. Die beiden Frauen gegenüber tuschelten. Redeten sie über ihn? Max lief der Schweiß in Strömen den Körper herunter. Er war nun schon über zwanzig Minuten in der Schwitzkammer und hatte Mühe, genug Atem zu bekommen. Kleine, silbrige Sterne tanzten vor seinen Augen. Ihm wurde übel. Genug. Er stand auf, wollte an die frische Luft, doch dann wurde es dunkel.
»Hallo, können Sie mich hören?«
»Au!«
Ein stechender Schmerz auf der Brust weckte Max wieder auf. Jemand hatte ihn gekniffen. Erschrocken griff er nach Halt suchend um sich, um wieder auf die Beine zu kommen. Er erwischte ein Stück Stoff und zog kräftig daran. Die Stütze war nicht stark genug. Trotzdem konnte sich Max in eine sitzende Position aufrichten. Das Stück Textil noch immer in der Hand haltend, stützte er sich nach hinten auf dem Fliesenboden ab. Dann erst öffnete er vollends die Augen und blickte direkt in den aufgedeckten Schambereich von Marie Schulze, geborene Meier. Sie war rasiert. Nicht ein kleines Härchen bedeckte die weichen Hauterhebungen und Biegungen. Die Wölbungen und Vorsprünge hatte Max bisher nur auf Bildern, jedoch noch nie in dieser Detailschärfe gesehen. Und über allem prangte ein geschwungenes GG.
Nach einer gefühlten Ewigkeit, die in Realzeit nur wenige Zehntelsekunden gedauert hatte, entriss Marie Schulze, geborene Meier, Max ihr Handtuch und wickelte es sich in blitzschneller Eleganz wieder um ihren Körper.
»Geht es wieder? Sie sind wohl ohnmächtig geworden?«, fragte sie.
»Ich weiß auch nicht. Plötzlich war mir schwarz vor Augen«, antwortete Max. »Ich bin Ihnen so dankbar …«
»Das sehe ich«, unterbrach ihn Marie schmunzelnd und blickte an Max herunter.
Der folgte ihrem Blick. Sein kleines Handtuch lag aufgeschlagen wie ein Buch unter seiner Hüfte und Max präsentierte sich in noch nie dagewesener Größe. Schnell raffte nun auch er sein Handtuch zusammen, bedeckte sich und versuchte, seine Erektion zu verstecken. Hochrot im Gesicht und nicht nur da, stolperte er zur Tür, rüttelte hastig an der Klinke, bis sie sich schließlich öffnete. Die Frauen hinter ihm brachen in schallendes Gelächter aus. Max aber war froh, frische, kühle Luft atmen zu können. Schnurstracks verschwand er unter einer eisig kalten Dusche, um seinem gesamten Körper Linderung zu verschaffen. Es dauerte einen Moment, bis auch Max zu einem Lächeln zurückfand. GG. Er hatte ein weiteres Puzzlestück gefunden.

Vor der Schwimmhalle empfing ihn ein eisiger Wind und vereinzelt fallende Regentropfen. Es war dunkel. Und die MZ verweigerte den Dienst. Diesmal war nichts zu wollen. Der Motor sprang nicht an.
»Dann bleibst du eben hier!«
Der einsame Fußweg, der an der Hörsel entlang in Richtung Innenstadt führte, war nur spärlich beleuchtet. Nicht wenige Laternenglühlampen waren das Opfer von heimtückischen Steinattacken geworden. Rechts plätscherte träge der kleine Fluss und links erstreckte sich über mehrere hundert Meter ein um diese Zeit verlassener Parkplatz mit angrenzendem Supermarkt. Selbst die hartnäckige Gruppe von Freizeittrinkern, die hier zu jeder Tages- und Nachtzeit anzutreffen war, hatte sich wohl aufgrund des Wetters ein angenehmeres Plätzchen gesucht.
Max zog den Reißverschluss seiner Fleecejacke ganz nach oben und machte sich so klein wie anatomisch möglich, um dem pfeifenden Wind so wenig Angriffsfläche wie möglich zu bieten. Er ging schnellen Schrittes und drehte sich immer wieder um. Doch den Weg bevölkerten nur huschende Schatten, die der Wind, die Laternen und die Bäume in einem harmonischen Zusammenspiel auf den Asphalt malten. Oder war da nicht hinter den Kleidercontainern eine Gestalt in Deckung gegangen?
Max lief schneller. Der Pfad zweigte nach rechts unter die breite doppelspurige Straßenbrücke ab. Auch hier hatte jemand mutwillig das Licht abgeschaltet. Ohne auf das beachtliche Gefälle Rücksicht zu nehmen, joggte Max den Abhang hinunter, kam auf dem Geröll ins Straucheln, blieb aber auf den Beinen.
Hinter der Brücke reihten sich endlich wieder Häuser aneinander. Auch die Beleuchtung wurde besser. Max atmete tief durch und sah sich nochmals um. Nichts. Langsamer, aber nicht wesentlich ruhiger setzte er seinen Heimweg fort.

Zurück in seiner Kammer fuhr Max als Erstes seinen Computer hoch und ergänzte die Namensliste um die nächsten zwei Buchstaben:

Marie Meier (Schulze) GG
Claudia Meißner
Lisa Schmitz LD
Sara Adam
Eva Zöllner
Clara Pauli

»GG, LD«, murmelte Max laut vor sich hin.
Was sollte das für ein Wort ergeben? Auf jeden Fall wurde nun deutlich, dass die Reihenfolge der Frauennamen nicht mit der Anordnung der Buchstaben übereinstimmen konnte. Ein Wort, das mit zwei G begann, gab es nicht. Also weitersuchen. Claudia Meißner war die Nächste auf der Liste.
Nach fünfzig Liegestützen und einer heißen Dusche nahm Max die geborgte Bibel zur Hand und begann zu lesen. Er brauchte definitiv seelische Ablenkung. Wohin würde der Weg, den er eingeschlagen hatte, ihn führen?
Kurz nach Mitternacht schreckte Max aus einem unruhigen Traum hoch. Krachend fiel die Bibel zu Boden. Er hatte von Marie geträumt. Im Eva-Kostüm hatte sie vor ihm gestanden und ihm einen Apfel dargeboten. Groß und deutlich hatten sich die Buchstaben GG von dem kräftigen Rot der Schale abgehoben. Und Max hatte zugegriffen, hatte mit Wollust in das knackige Fruchtfleisch gebissen. Er hatte sich den süßen Saft über die Wangen laufen lassen und ihn mit der Zunge von den Mundwinkeln geleckt. Dann hatte er immer und immer wieder seine Zähne in die Frucht geschlagen. Marie hatte ihn mit wippenden, vollen Brüsten und kreisenden Hüften beobachtet. Dann war Max plötzlich erwacht. Schweißgebadet. Er glaubte, den Apfel noch immer schmecken zu können. Es war nur ein Traum.
Es dauerte gefühlt Stunden, bis er in einen unruhigen Schlaf zurückfand. Als endlich der Morgen kam, war es eine Erleichterung für Max, aufstehen zu dürfen. Heute hatte er im Café der Caritas Dienst. Eine befriedigende Aufgabe. Er würde Texte aus dem Alten Testament vorlesen und in der Gruppe diskutieren. Dazu gab es eine überwältigende Auswahl an wohlschmeckenden Teesorten und süßes Gebäck im Überfluss. Und nebenbei konnte er an einem Plan arbeiten, wie er Claudia Meißner am besten an die Wäsche gehen konnte. Ach ja, er sollte sich auch um die MZ kümmern. Irgendwo in seiner Truhe musste noch eine Zündkerze liegen.

 

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